Donnerstag, November 21, 2024
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Susanne Kaiser Backlash

Susanne Kaiser: Der Backlash und die autoritären Bewegungen zeigen, wie weit die feministischen Errungenschaften gekommen sind

Je stärker die Frauen, desto größer der Hass auf sie, beobachtet die Journalistin Susanne Kaiser. In ihrem Buch “Backlash” geht sie der körperlichen und psychischen Gewalt gegen Frauen auf den Grund und entwirft mögliche Lösungen. Im Interview erklärt sie, warum es einen Rückschlag gegen die Gleichberechtigung gibt, was das mit einem gebrochenen Männlichkeitsideal zu tun hat und was bei Gewalterfahrungen eine gute erste Anlaufstelle ist.

„In den letzten zehn, zwanzig Jahren sind Frauen unglaublich sichtbar geworden und haben Positionen erklommen wie niemals zuvor – als Politikerinnen, Unternehmerinnen, in allen Bereichen“

herCAREER: Susanne, du sagst, wir erleben einen Backlash, also einen Rückschlag gegen den Aufstieg der Frauen, mit neuen Formen von Gewalt. Warum?
Susanne Kaiser: In den letzten zehn, zwanzig Jahren sind Frauen unglaublich sichtbar geworden und haben Positionen erklommen wie niemals zuvor – als Politikerinnen, Unternehmerinnen, in allen Bereichen. Denken wir nur an Angela Merkel als erste Kanzlerin. Dass Gleichberechtigung – selbst, wenn es noch einiges zu tun gibt – ein essenzieller Wert einer Demokratie ist, würde niemand mehr bestreiten und damit ernsthaft eine Diskussion lostreten.

herCAREER: Und das provoziert?

Susanne Kaiser: Je stärker die Frauen, desto größer der Widerstand – ich nenne dieses Phänomen das “feministische Paradoxon”. In Europa und darüber hinaus erstarken rechtsextreme Parteien, die ein tradiertes Frauenbild wieder ins Zentrum der Gesellschaft rücken wollen – etwa in Finnland, wo Sanna Marin als Regierungschefin abgelöst wurde. Rechtspopulisten kommen in der Mitte der Gesellschaft an und schaffen es, Dinge sagbar zu machen, die wir schon längst hinter uns gelassen haben. In Deutschland erfährt die AfD viel Zuspruch, gerade auch von jungen Männern. Es werden Rechte rückabgewickelt, wie in den USA, wo in vielen Bundesstaaten Frauen nicht mehr über Abbruch oder Fortführung ihrer Schwangerschaft selbst entscheiden können. Gendergerechte Sprache hat sich so weit etabliert, dass Bayern sie verboten hat. Das alles ist eine Form politischer Männlichkeit. Dahinter steht die Erzählung, dass es die Frauen und der Feminismus zu weit getrieben haben. Männlichkeit wird hier zur Identitätspolitik.

herCAREER: Ist das klassische Männlichkeitsideal denn wirklich gebrochen?

Susanne Kaiser: Die Norm, das waren lange die Männer – weiß, hetero, cisgeschlechtlich. Das Stereotyp sagt: Sie sind immer stark, sorgen für das Haushaltseinkommen, treffen Entscheidungen, spielen die dominante Rolle in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. An diese Stelle ist nun ein vielfältigeres Bild getreten.

herCAREER: Wie kam das?

Susanne Kaiser: Im Zuge der Frauenbewegungen, aber auch in der jüngsten Geschichte haben wir angefangen, Männlichkeit zu problematisieren, von toxischer Männlichkeit und vom Patriarchat zu sprechen und es zu kritisieren. Nicht nur in kleinen feministischen Kreisen, sondern in der Breite. Die #MeToo-Bewegung hat ein kollektives Bewusstsein für sexistische Strukturen geschaffen. Das Internet hat eine große Rolle dabei gespielt, dass Frauen sich formieren konnten. Genauso aber, dass sich eine Gegenbewegung formieren konnte.

herCAREER: Wo liegt denn die Wurzel dieser Gewalt?

Susanne Kaiser: Männer sind verunsichert in ihrer Männlichkeit. Schon kleine Jungs werden mit der Frage konfrontiert, was ist denn Männlichkeit überhaupt? Und wenn sie versuchen, Antworten für sich zu finden, werden sie bombardiert mit ambivalenten Botschaften und Erwartungen. Auf der einen Seite steht: Du darfst nie über Grenzen gehen, musst ein Nein akzeptieren. Auf der anderen Seite heißt es: Sei ein Macher, nimm dir die Dinge, die du willst. Wenn du erfolgreich sein willst, musst du über Grenzen gehen, über deine und über andere. Erfolg bedeutet für viele Männer – wie den frauenfeindlichen Influencer Andrew Tate –: viel Geld, schöne Statussymbole und Frauen.

herCAREER: Wie können junge Männer bei sich bleiben – im Hinblick auf Identifikationsfiguren wie Andrew Tate?

Susanne Kaiser: Für mich ist die Antwort, darüber zu sprechen. Es geht darum, Stereotype zu hinterfragen. Gibt es naturgegebene Eigenschaften, wie beispielsweise weibliche Fürsorglichkeit? Oder können Männer nicht auch fürsorglich sein und sich hervorragend um die Kinder kümmern – am besten ohne gesellschaftliche Stigmatisierung und ohne berufliche Nachteile?

herCAREER: Welche Arten von Gewalt gibt es?

Susanne Kaiser: In “Backlash” habe ich mir vor allem Partnergewalt angesehen. Es gibt Gewalt im Netz in Form von Hass und auch Gewalt auf der politischen Ebene, also strukturelle Gewalt. Seit die Statistik zu Partnergewalt in der polizeilichen Kriminalstatistik erhoben wird, in Deutschland seit 2015, ist die Gewalt angestiegen. Und wir sehen, dass bestimmte Gewaltformen zunehmen, etwa sexuelle Gewalt, was ein Zurückwerfen-auf-den-Körper ist. Im Netz ist es leider völlig normal, dass da Vergewaltigungsdrohungen ausgesprochen werden.

herCAREER: Soll das die Frauen zum Schweigen bringen?

Susanne Kaiser: Wenn wir uns die Top 10 der Influencerinnen ansehen, sind alle aus dem Beauty-Bereich – keine Politikerin, keine Aktivistin, keine Journalistin. Tatsächlich zeigen Studien, dass jede zweite Frau im Netz ihre Meinung nicht mehr sagen will. Journalistinnen wie Dunya Hayali bekommen viel Hass ab. Sie wird so bedroht, dass sie sich immer wieder zurückziehen muss. Und es macht etwas, wenn Frauen nicht mehr partizipieren wollen. Das macht etwas mit unseren Idealen, aber auch mit unserer Demokratie. Sie erodiert.

herCAREER: Viele denken, Gewalt gegen Frauen ist ein Phänomen, das es vermehrt in anderen Kulturen gibt – denkst du, die Angst, dass wir patriarchale Strukturen durch Einwanderung “importieren”, ist berechtigt?

Susanne Kaiser: Bei Lesungen und Vorträgen ist das immer eine Frage, die mir gestellt wird. Ich finde sie wichtig, weil sie viele Menschen umtreibt. Ich habe aber bisher noch keinen Raum gesehen, in dem dieses Problem thematisiert wird, ohne es zu instrumentalisieren. Und ich sehe oft den Versuch, von der eigenen patriarchalen Gewalt abzulenken. In rechten Medien ist lange ignoriert worden, dass die Gewalt gegen Frauen steigt. Inzwischen wird das anerkannt, aber immer mit dem Impetus: Seit 2015 so viele Flüchtlinge kamen, trauen sich Frauen nachts nicht mehr auf die Straße. Die Gewalt, die steigt, steigt aber nicht auf der Straße. Der gefährlichste Ort bleibt für Frauen das eigene Zuhause. Die meisten Täter sind deutsch. Aber es gibt selbstverständlich auch Täter aus Afghanistan, Iran, Syrien – und gewiss sind diese Länder patriarchaler. All diese Gewalt hat jedoch gemein, dass sie von Männern verübt wird.

herCAREER: Haben wir es bei misogyner Gewalt mit einem Phänomen am Rande der Gesellschaft zu tun?

Susanne Kaiser: Frauenfeindliche Gewalt passiert in allen Schichten. Wir sehen, dass das Klischee des Mannes: ständig betrunken, arbeitslos und bildungsfern – nicht stimmt. Die größten Ressentiments gegenüber Frauen haben Akademiker und darunter besonders Ingenieure, Mediziner und BWLer. Das sind die drei Gruppen, die am ehesten sagen würden, mir kann mal die Hand ausrutschen.

Wichtig zu verstehen ist: Es kann jede Frau treffen. Die Muster sind nicht bei den Frauen zu suchen, sondern bei den Männern. Es sind oft diese Konstellationen: Sie verdient mehr als er, ist akademisch besser gebildet. Männer kommen damit oft nicht klar. Denn Männer sind es leider immer noch gewöhnt, ihre Karrieren auf dem Rücken von Frauen zu bilden, weil Frauen den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit übernehmen.

herCAREER: Mit welchen Vorurteilen haben Opfer von Gewalt zu tun?

Susanne Kaiser: Oft wird die Frage gestellt: Warum hat sie sich nicht einfach getrennt – und das so lange mit sich machen lassen? Gerade so eine gebildete Frau. Es wird unterschätzt, wie sehr das Victim-Blaming selbst in einer Zweierbeziehung wirkt. Und wenn Frauen als Schuldige, vielleicht psychisch gestört, hingestellt werden, dann fangen sie an, an sich selbst zu zweifeln. Sie entschuldigen die Gewalt, weil sie denken, sie haben einen Anteil daran.

herCAREER: Ein konservativer Mann, der in Absprache mit seiner Frau das klassische Modell lebt: Er arbeitet, sie bleibt zuhause. Ist das schon gewaltvoll?

Susanne Kaiser: Gewalt entsteht ab dem Moment, in dem die Frau nicht einverstanden ist mit der Situation. Der Feminismus wird missverstanden, wenn es heißt, Frauen dürften sich nicht mehr entscheiden für ein Leben als Hausfrau und Mutter. Das sehe ich anders. Jede Frau, die sich freien Willens dafür entscheidet, soll das tun. Wichtig ist, dass die Entscheidung einvernehmlich ist und dass sie sich jederzeit umentscheiden kann.

herCAREER: Was kann man tun, wenn man das Gefühl hat, dass beispielsweise Freundinnen psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt sind, sich aber nicht lösen können?

Susanne Kaiser: Wenn es eine Freundin betrifft, ist es sehr schwierig. Das Wichtigste ist, für sie da zu sein, wann immer sie es braucht. Was man sonst noch tun kann, ist, auf Beratungsangebote hinzuweisen. Für einen selbst gilt dasselbe: Es ist fatal, sich isolieren zu lassen. Am besten wäre es, mit anderen über die Gewalt zu sprechen, aber überhaupt mit anderen in Kontakt zu bleiben ist sehr wichtig. Ich empfehle auch, für ökonomische Unabhängigkeit zu sorgen und ein eigenes Konto zu besitzen. Das spielt oft eine große Rolle. Bei gemeinsamen Kindern wird es natürlicher komplizierter – hier empfehle ich, sich frühzeitig zu informieren und gegebenenfalls anwaltliche Hilfe zu holen.

herCAREER: Was ist eine gute erste Anlaufstelle?

Susanne Kaiser: Der Frauennotruf ist eine gute erste Anlaufstelle, weil er die Frauen auch gezielt weitervermittelt. Es ist unverbindlich und anonym. Bald gibt es die von Stefanie Knaab entwickelte App, mit der sich Frauen informieren und auch Gewalterfahrungen dokumentieren können. Sie ist nicht als eine solche App auf dem Handy zu erkennen und deshalb sicher.

herCAREER: Was ist deiner Meinung nach auf politischer Ebene wichtig, um der Gewalt gegen Frauen entgegenzuwirken?

Susanne Kaiser: Die Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, Anm. Red.) ist zwar unterzeichnet, aber nicht ordentlich umgesetzt. Hierfür müsste viel mehr Geld aufgewendet werden. Frauenhäuser sind eine gute, aber keine dauerhafte Lösung, denn Frauen werden als Betroffene aus dem Leben ins Frauenhaus genommen, während sich die Täter frei bewegen können. Das schafft ein Machtungleichgewicht. Wir brauchen außerdem mehr politische Regularien für das Internet, für die sich etwa die Organisation HateAid einsetzt.

herCAREER: Gibt es etwas, dass sich deiner Meinung nach bereits zum Guten wendet?

Susanne Kaiser: Der Backlash und die autoritären Bewegungen zeigen, wie weit die feministischen Errungenschaften gekommen sind. Es gibt viel mehr Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen. Vor zehn Jahren hätten wir beispielsweise über Till Lindemann von Rammstein noch anders debattiert. Ich sehe es optimistisch, wie wir in Sachen Gleichberechtigung vorangehen. Die Mehrheit will in einer Demokratie leben. Diese Fortschritte lassen sich nicht wieder zurückschrauben, genauso wenig das Bewusstsein für toxische Männlichkeit. Die Alternative wäre eine Diktatur, in der Frauen unterdrückt werden. Und daran glaube ich nicht.

Das Interview führte herCAREER-Chefredakteurin Julia Hägele.

Bild © Jonas Ruhs

Quelle messe.rocks GmbH

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