Vergangene Woche standen die Sorgen wegen der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse im Vordergrund. „Der Hintergrund dieser Ereignisse sind die extrem aggressiven Zinserhöhungen der letzten Monate – eine derartig schnelle Straffung der Geldpolitik haben wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt“, sagt Steven Bell. „Wir dürfen aber auch die zusätzlichen Auswirkungen des Übergangs von der quantitativen Lockerung zur quantitativen Straffung nicht vergessen“, warnt der Chefökonom. Warum er für die USA schwarz sieht, aber den Pessimismus in Europa und Großbritannien für übertrieben hält, erörtert Bell in seinem wöchentlichen Kommentar.
Kreditverknappung in den USA droht mit Rezession
Die Zinsschritte in den USA waren heftiger und hastiger als in Europa und es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass dies zu einer Kreditverknappung geführt hat. „Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) hat Probleme im Zusammenhang mit der weit verbreiteten Nutzung von Geldmarktfonds enthüllt und eine Lücke in der US-Regulierung für zweitrangige Banken offenbart – diese hatte es der SVB ermöglicht, eine außerordentliche Position in Bezug auf das Durationsrisiko einzunehmen“, analysiert der Chefvolkswirt.
Bereits vor dem Zusammenbruch der SVB hätten US-Banken die Kreditvergabestandards drastisch verschärft, und zwar auf ein Niveau, das dem der globalen Finanzkrise ähnelt. Anzeichen für eine Kreditverknappung gebe es aber auch auf dem Markt für US-Unternehmensanleihen.
Zwar gebe es laut Bell auch positive Signale:
Die US-Verbraucher seien nach wie vor positiv gestimmt und geben ihre „Covid-Sparschweine“ rasch aus. „Das Ausmaß ihrer Ausgaben hat ausgereicht, um eine Rezession bis jetzt hinauszuzögern“, sagt der Chefökonom. Auch gebe es Hinweise, dass die Inflation in den USA bereits zurückgeht, sogar in den entscheidenden Bereichen Wohnen und Löhne.
„Wir sind jedoch der Meinung, dass es deutlichere Anzeichen für eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt geben muss, und das erfordert wahrscheinlich eine Rezession und steigende Arbeitslosigkeit, bevor die Federal Reserve ihren Kurs ändert“, warnt Bell. „Wir glauben allerdings nicht, dass diese von uns prognostizierte Rezession sehr schlimm ausfallen wird.“
Pessimismus in Europa übertrieben
Anders beurteilt der Chefökonom von Columbia Threadneedle die Lage in Europa: „Wir glauben, dass die Kreditverknappung in den USA viel stärker ausgeprägt ist als in der Europäischen Union (EU). Entsprechend ist der Fall Credit Suisse – im Gegensatz zu den Ereignissen um die SVB – ein Einzelfall und es handelt sich nicht um ein allgemeines Problem der europäischen Banken.“ Ähnlich gut verhalte es sich mit der europäischen Wirtschaft. Denn im Gegensatz zu den USA erhalte Europa durch die fallenden Energiepreise einen rechtzeitigen Schub.
Ungeachtet dessen sei der Pessimismus dramatisch. „Die Sorge um eine finanzielle Ansteckung scheint nur ein weiteres Symptom für den außergewöhnlichen Zusammenbruch des Vertrauens von Unternehmen, Investoren und insbesondere Verbrauchern in Europa im vergangenen Jahr zu sein“, schreibt Bell. Die Konsensprognosen gingen trotz der Überwindung der Energiekrise weiterhin von einer Rezession aus – eine Einstellung, die der Chief Economist vor allem angesichts der Überwindung der Energiekrise für übertrieben hält. „Ich rechne in Europa zwar nicht mit einem Boom, aber die sinkenden Energiepreise dürften das Wachstum und vor allem das Vertrauen stärken.“
Sobald der Optimismus zurückkehre, dürfte sich laut Bell eine positive Entwicklung einstellen, die ausreichen sollte, um das Wirtschaftswachstum zu stützen. Bereits jetzt hat sich das Vertrauen der Unternehmen deutlich verbessert. Auch die europäischen Verbraucher sind wieder zuversichtlicher. „Aber die Ausgangslage war schlechter als während der globalen Finanzkrise oder Covid“, gibt Bell zu bedenken. Sobald sich jedoch die Ängste vor horrenden Energierechnungen im Winter verflüchtigen, haben die europäischen Verbraucher immer noch ihre „Covid-Sparschweine“, die sie plündern können.
Besonders für die deutsche Wirtschaft hat der Chefökonom lobende Worte. Zwar sei der warme, nasse und windige Winter dafür ausschlaggebend gewesen, die Energiekrise abzuwenden. „Doch es war nicht nur Glück“, betont Bell. Hervorzuheben sei die gut durchdachte deutsche Intervention auf den Energiemärkten, die die Verbraucher schützte, während gleichzeitig der Energieverbrauch erheblich gesenkt wurde. Dabei seien die Zielvorgaben für die Reduzierung um 20 Prozent übertroffen wurden. „Das schuf eine massive Reaktion von Angebot und Nachfrage, die dazu beitrug, die Energiepreise zu senken“, so Bell.
Großbritannien: Hypothekenzins dämpft Begeisterung
Auch im Vereinigten Königreich verbessere sich die Lage. Diese war zuvor mehr als düster: „In den dunklen Tagen des Herbstes erreichte die implizite Rezessionswahrscheinlichkeit im Vereinigten Königreich 91 Prozent – ein noch nie dagewesener Grad an Übereinstimmung unter den Ökonomen!“ so Bell. Nun sei nicht nur die Energiekrise vorbei. Auch die Energiepreise für den nächsten Winter seien in den letzten Monaten rapide gesunken. „Wir gehen davon aus, dass es für den nächsten Winter bald ein Festpreisangebot unter der Obergrenze von 2.500 Pfund Sterling geben wird. Damit dürfte den britischen Verbrauchern eine große Angst genommen werden“, ist der Chefökonom von Columbia Threadneedle Investments überzeugt.
Auch wenn der Markt skeptisch ist: Das Inflationsziel von 2,9 Prozent bis Ende dieses Jahres, das die Regierung festgelegt hat und das die Bank of England nun unterstützt, hält Bell für durchaus angemessen. „Bei den Energierechnungen wird ein Anstieg um 90 Prozent durch eine Senkung um 20 Prozent ersetzt – das wird dramatische Auswirkungen auf die Inflationszahlen haben“, sagt der Chefvolkswirt. Dennoch sei übertriebener Optimismus fehl am Platz: „Der starke Anstieg der Hypothekenzinsen wird die britische Wirtschaft erheblich belasten“, warnt Bell. Die Auswirkungen würden jedoch über die kommenden Jahre durch die Restlaufzeiten der festverzinslichen Hypotheken verteilt. „Die britische Wirtschaft wird zwar wachsen, aber nur in bescheidenem Maße“, lautet Bells Prognose.
Attraktiv: Staatsanleihen sowie britische und europäische Risikoanlagen
Was bedeutet das alles für Anleger? „Angesichts der realen Renditen sehen Staatsanleihen attraktiv aus. Auch wenn die Zinsen weiter steigen könnten, unterstreicht dies die Entschlossenheit der Zentralbanken, die Inflation unter Kontrolle zu bringen“, sagt Chefökonom Bell. Zudem bestehe die realistische Möglichkeit, dass die US-Zinsen unter die europäischen fallen, zumal letztere weiter steigen müssen. Dies würde auf eine Aufwertung des Euro und eine Schwäche des US-Dollars hindeuten.
Während die Gewinnspannen von US-Unternehmen trotz starken Umsatzwachstums bereits unter Druck geraten sind, zeichnet Bell für die Rentabilität europäischer und britischer Unternehmen ein positiveres Bild. Auch für den wichtigen US-Tech-Sektor seien die Aussichten weniger attraktiv, da reife Technologieunternehmen zunehmend um ihre Märkte konkurrieren. „Wir bevorzugen daher europäische und britische Risikoanlagen“, betont Bell.
China hat unterdessen seine Null-Covid-Politik mit ihren restriktiven Maßnahmen beendet. Die Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft ist laut Bell ein wichtiger Impuls für die Weltwirtschaft.
Den englischen Originalkommentar finden Sie unter https://www.columbiathreadneedle.co.uk/en/intm/insights/are-we-heading-for-a-financial-crisis/
Bild Foto Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle (jpg) (Foto: Columbia Threadneedle Investments)
Quelle redRobin. Strategic Public Relations GmbH