U.S.-Bezirksgericht beendet „Forum Shopping” von Patent-Trollen.
Interview mit Bernhard Ganglmair, EPoS Economic Research Center.
Am US-Bundesgericht für den westlichen Bezirk von Texas (WDTX) ging die Gesamtzahl der eingereichten Patentverletzungsklagen um rund 70 Prozent zurück. Vorausgegangen war eine Änderung der Regeln, nach denen Klagen jeweils einem Richter zugewiesen werden. Offenbar hatten viele Unternehmen das WDTX ausgenutzt – vor allem solche Kläger, die ihre patentierten Technologien nicht für eigene Produktionstätigkeiten nutzten. Diese Patent-Trolle hatten offensichtlich eine „Forum-Shopping-Strategie“ verfolgt: Dabei wählen Kläger aus taktischen Gründen ein für die eigene Sache günstiges Gericht aus. Das WDTX unterband diese Praxis durch die Einführung von „Random Case Assignment“, Patent-Fälle werden jetzt nach dem Zufallsprinzip einem Richter zugewiesen. Diese Ergebnisse veröffentlicht das EPoS Economic Research Center der Universitäten Bonn und Mannheim in dem Diskussionspapier „Do Judicial Assignments Matter? Evidence from Random Case Allocation“.
Herr Dr. Ganglmair, wie konnten Patent-Trolle das amerikanische Rechtssystem ausnutzen?
Bernhard Ganglmair: In der US-amerikanischen Justiz können Kläger – mit einigen Einschränkungen –zwischen mehreren Gerichten („Foren“) wählen. Sie reichen ihre Klage dort ein, wo sie sich Vorteile erhoffen. Eine extreme Form dieser Forum-Shopping-Praxis ist das „Judge Shopping“. Offenbar hatten viele Kläger im westlichen Bezirk von Texas diese Strategie verfolgt, bevor im Juli 2022 die Regeln für die Zuweisung von Fällen innerhalb des WDTX geändert wurden.
Wer im texanischen Waco Klage einreichte, bekam mit hoher Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Richter zugewiesen. Der einzige Richter in der Waco Division, Richter Albright, stand in dem Ruf, Patentinhabern wohlgesonnen zu sein: Wenn er einen Fall übernahm, war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass ein Patent für nichtig erklärt wurde. Die Verfahren verliefen außerdem zügiger als bei seinen Kollegen im Bezirk. Albright war bei den Patentinhabern äußerst beliebt. Im Jahr 2021 führte er den Vorsitz in 25 Prozent aller neuen Patentverletzungsfälle an US-Bundesgerichten.
Was änderte sich konkret durch die Einführung von „Random Case Assignment“?
Bernhard Ganglmair: Unsere Analyse zeigt: Vor Einführung der Regelung im Juli 2022 wurden Richter Albright 100 Prozent der neuen Patentfälle in der Waco Division zugewiesen. Danach sank sein Anteil auf einen monatlichen Durchschnitt von 11 Prozent.
In der Folge sank die Gesamtzahl der Patentverletzungsfälle vor dem WDTX um etwa 70 Prozent. Einige Patentanwälte verließen den Bezirk. Andere reichten weniger Fälle ein. Wir stellen einen besonders starken Rückgang der Klagen von Unternehmen fest, die ihre patentierten Technologien auf dem Produktmarkt gar nicht nutzen. Das sind so genannte „Non-Practicing Entities (NPEs)“, auch als „Patent-Trolle“ bezeichnet. Klagen dieser Art stellen eine ernste Gefahr für Innovationen dar, beispielsweise wenn Patente gegen Start-ups eingesetzt werden.
Die Gerichtsverfahren von Inhabern hochprofitabler Patente, die ihren Inhabern einen hohen wirtschaftlichen Nutzen bringen, gingen ebenfalls im Vergleich stärker zurück – ebenso wie von Patenten mit geringer Qualität. Der Grund: Bei einem Richter, der den Patentinhabern weniger wohlgesonnen ist, besteht für die Kläger ein höheres Risiko, dass ihre Patente für ungültig erklärt werden. Dadurch versiegt die potenzielle Einkommensquelle aus Lizenzeinnahmen. Dieses Ergebnis ist besonders kostspielig für Inhaber hochprofitabler oder minderwertiger Patente, bei denen die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass sie vom Gericht für ungültig erklärt werden. Wir interpretieren unsere Ergebnisse als Beleg dafür, dass „Judge Shopping“ für diese Art von Patentinhabern besonders häufig vorkam. Sie reichten ihre Fälle nur wegen Richter Albright ein. Sobald sie wussten, dass sie es mit einem „durchschnittlichen“ Richter zu tun bekämen, entschieden sie sich gegen eine Klage.
Wie groß ist die Gefahr von Judge Shopping in den USA?
Bernhard Ganglmair: Die Gefahr, dass Kläger versuchen, einen für die eigene Sache vorteilhaften Richter auszuwählen, ist sehr real. Erst im März 2024 empfahl die Judicial Conference of the United States zuständig für Richtlinien der Bundesgerichte – den Bezirken, ihre Zuweisungspraxis in Fällen mit nationaler Bedeutung zu ändern. Die Empfehlung lautete, die Fälle nach dem Zufallsprinzip unter allen Richtern eines Bezirks zu verteilen. So sollte verhindert werden, dass der vorsitzende Richter dem Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung bekannt ist, wie in Waco. Unsere Forschung bestätigt die Relevanz und Wirksamkeit dieser Empfehlung, nachdem wir eine Änderung der lokalen Zuweisungsregeln im Sinne der Empfehlungen der Judicial Conference untersucht haben.
Ist die Justiz in Europa immun gegen eine solche strategische Einflussnahme?
Bernhard Ganglmair: Nein, ganz und gar nicht. „Forum Shopping“ sowie das verwandte „Judge Shopping“ sind auch in Europa ein echtes Problem. Beispielsweise wurde im Zusammenhang mit dem einheitlichen Patent eine entsprechende Sorge geäußert. Das Einheitliche Patentgericht ist das Streitforum auf europäischer Ebene. Es hat Abteilungen in verschiedenen Mitgliedsstaaten. Daher besteht die Gefahr, dass Patentanwälte versuchen, in dem Land zu klagen, das ihnen am günstigsten erscheint.
Auch bei Standard-Patentstreitigkeiten ist die strategische Wahl des Richters oder des Gerichts zu beobachten. In den letzten Jahren begannen deutsche Richter, von einer früheren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abzuweichen. Damit werden die Gerichte für Patentinhaber freundlicher. Diese Ausrichtung könnte eine strategische Auswahl deutscher Gerichte nach sich ziehen, wenn sie nicht kontrolliert wird. Unsere Forschung zeigt, dass die Zuweisung von Fällen nach dem Zufallsprinzip den Einfluss einzelner Richter begrenzt und bestimmte Gerichte weniger attraktiv für Trolle macht, die sich einen Vorteil erhoffen.Die Gesamtzahl von Patentverletzungsfällen könnte dadurch gesenkt werden.
Bild:Prof. Dr. Bernhard Ganglmair, EPoS Economic Research Center an den Universitäten Bonn und Mannheim / Bernhard Ganglmair
Quelle:econNEWSnetwork